Serving Sentiment
11.3. – 16.4.2023
at Angelika Kauffmann Museum, Schwarzenberg, AT

curated by Thomas Hirtenfelder
Serving Sentiment

Es ist angerichtet. Die Gastgeber*innen in diesem Salon, der ein Denk- und Handlungsraum ist, sind freistehende, dreiteilige Gemälde – Tryptichen in der Gestalt von Paravents, die mit einer überraschenden Leichtigkeit die gesamte Geschichte des Tafelbildes auf ihren Schultern tragen. Serviert wird nichts Geringeres als die Malerei oder das Malerische selbst. Am Boden stehend, befreit von der Zweidimensionalität der Wand, beanspruchen die neuesten Arbeiten von Sarah Bechter Raum in drei Dimensionen und stellen sich den Betrachtenden förmlich in den Weg. Bilder, die an der Wand hängen, sind in erster Linie Bilder. Bilder, die im Raum stehen, geben sich hingegen allein schon durch ihre entblößte Rückseite offener als Gemälde oder „Bild-Dinge“ (1) zu erkennen, während die Eindeutigkeit von Narrativen und Motiven in Zweifel gezogen und die Starrheit beim Anschauen aufgebrochen wird. Je nach Stellung und Faltung der Paravents und von unterschiedlichen Blickwinkeln und Standpunkten aus betrachtet, zeigt sich die Malerei einmal mehr, einmal weniger, sind unterschiedliche Teile der Motive sichtbar oder bleiben verborgen. In ihrer Beweglichkeit verfügen die Gemälde zudem über die Fähigkeit, ihre Form innerhalb bestimmter Parameter zu verändern, sich nach vorne oder hinten zu klappen und dabei, ganz der Möbeltypologie des Raumteilers folgend, Dinge oder Personen vor neugierigen Blicken abzuschirmen, kleinteilige Raumstrukturen zu schaffen, private und öffentliche Bereiche voneinander zu trennen oder Elemente der vorhandenen Architektur hervorzuheben. Die Gemälde haben dadurch auch selbst etwas Subjekthaftes an sich. Sie können sich abwenden, sich uns zuwenden, etwas umfassen oder umarmen, was eine gewisse Handlungsmacht suggeriert. Die Verrenkungen der elastischen Figuren und Gebilde, welche die melancholisch-poetischen Bilder der Künstlerin bewohnen, korrespondieren dabei mit den Verrenkungen des Bildträgers. Bechter übersetzt die in ihren Motiven angelegten Gesten und Bewegungen in reale, organisch anmutende Bewegungen der Paravents im Ausstellungsraum, die umgekehrt wiederum auf die Bilder zurückwirken und deren fließende Formen in immer neue Richtungen lenken.

Das Wesenhafte dieser Gemälde, die einen Körper, eine Haut, Gelenke, Arme und manchmal auch Augen haben, steigert in der Begegnung mit ihnen auch die Wahrnehmung unserer eigenen körperlichen Anwesenheit in der Ausstellung. Mit Robert Morris könnte man von einem durch die Paravents angestachelten „Bewusstsein davon, dass man im selben Raum wie das Werk existiert“ (2) sprechen. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die Tatsache, dass die Dimensionen der Leinwände direkt auf die vertrauten Proportionen des menschlichen Körpers Bezug nehmen. Dies verleiht ihnen eine Präsenz, die am eigenen Leib spürbar ist und an ein menschliches Gegenüber erinnert. Bechters Gemälde lassen sich nicht ignorieren. Sie wollen gesehen werden und scheinen uns ihrerseits zu beobachten, was mitunter auch etwas Unheimliches hat, oder wie es der amerikanische Kunstkritiker Bruce Glaser 1964 über ein in den Raum ausgreifendes Gemälde von Frank Stella ausgedrückt hat: „You can feel it behind you even when you’ve got your back turned“ (3). Zwischen den Paravents entsteht auf diese Weise ein 3 performativer Erfahrungsraum, der die Besucher*innen involviert und als temporäre identifikatorische Gemeinschaft aktiviert. Das Betreten der Ausstellung, das langsame Durchmessen des Raums, das Schweifenlassen des Blicks, das Sich-Verorten in der von der Künstlerin installierten Situation erweitert hier die rein visuelle Bild-Wahrnehmung. Bechters Gemälde sind in diesem Sinne Bilder und ortsspezifische Ausstellungsarchitekturen in einem. Sie stellen Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten her und initiieren vielfältige kommunikative Prozesse. Die Fluidität der Farben und des Malerischen findet ihre Entsprechung in einer „transitiven Malerei“ (4), die verschiedene Sprechakte, Handlungen, Referenzen, Strategien und Techniken in sich aufzunehmen vermag. Wie in den Salons in der Zeit von Angelika Kauffmann entspinnen sich infolgedessen im Ausstellungsraum lebhafte Debatten – über die Potenziale und Grenzen der Malerei, darüber, was Malerei neben den Bildern noch ist, wie sie gemacht wird, was sie kann und was sie mit uns macht.

Die Vorstellung, dass es sich bei der Malerei um eine Art Subjekt oder denkendes Wesen handelt, ist so alt wie die Malereitheorie selbst, wird aber gerade in den letzten Jahren wieder viel diskutiert. Wie andere Maler*innen vor ihr, von Joan Mitchell bis Albert Oehlen, weist auch Sarah Bechter gerne auf dieses Phänomen hin, das vor allem auf der konkreten Produktionserfahrung im Atelier, dem Malprozess und dem Eigenleben der verwendeten Ölfarben und Pigmente beruht. Es komme einem zuweilen so vor, als träfen das Bild oder die Pinselstriche eigene Entscheidungen, als stellten sie Forderungen, als verwickelten sie einen in Gespräche und Diskussionen. Hier klingt etwas von der écriture automatique der Surrealisten an, mit denen die Künstlerin auch die Leidenschaft für das Imaginäre, die Kraft der Suggestion, das Spannungsverhältnis zwischen Gesagtem und Nicht Gesagtem, Gezeigtem und Nicht-Gezeigtem teilt. Das Magische und die konzentrierte, leidenschaftliche Arbeit am Bild – „Painting (about painting pleasure)“, wie es im Titel eines Werks heißt – liegen in der Praxis von Sarah Bechter eng beieinander. Mit einer großen Sensibilität und nicht ohne einen zarten Humor widmet sie sich dem permanenten Balanceakt, der die Malerei ist. Denn Gemälde sind letztlich eben doch keine Lebewesen und produktive Zufälle allein machen noch keine guten Bilder, aber Bechter versteht es gekonnt, um eine schöne Formulierung von Isabelle Graw aufzugreifen, „sich den Phänomenen zu überlassen und sich ihnen gleichsam anzuschmiegen“ (5).

Thomas Hirtenfelder

1 Gottfried Boehm, Bild-Dinge. Stellas Konzeption der „black-paintings“ und einige ihrer Folgen, in: Frank Stella: Werke 1958–1976, Bielefeld 1977, S. 9–17.
2 Robert Morris, Bemerkungen zur Skulptur, Teil 2 [1966], in: Ders., Bemerkungen zur Skulptur. Zwölf Texte, hg. v. Susanne Titz u. Clemens Krümmel, Zürich/Dijon 2010, 33–41, hier 37.
3 Zit. n. Caroline A. Jones, „Frank Stella, Executive Artist“, in: Dies., Machine in the Studio. Constructing  the Postwar American Artist, Chicago 1996, S. 114–188, hier S. 170.
4 David Joselit, Painting Beside Itself, in: October 130 (Fall 2009), S. 125–134.
5 Isabelle Graw, Wie von selbst. Über die Aktualität der „écriture automatique“, in: Texte zur Kunst, Heft Nr. 48, Dezember 2002, Online-Ressource: https://www.textezurkunst.de/48/wie-von- selbst/ [Zugriff am 3. Februar 2023].



Verbergen zeigen

Malen ist eine besondere Tätigkeit: Eine ‚Botschaft‘ existiert vorab nicht. Die Bedeutung der Bilder entsteht allmählich, im Dialog mit dem Geschehen auf der Leinwand. Die Malerin findet erst allmählich heraus was sie tut, indem sie es tut. Sie ist eine Prozess-künstlerin. Wie der Malvorgang scheinen sich die Figuren in Sarah Bechters Bildern zu strecken. Finger längen sich zu Tentakeln, Arme ranken und tun es Fontänen gleich, die keiner Schwerkraf folgen. Weder Physik noch Anatomie bestimmen ihre Form, allein das Streben der Malerin. Ein Pinsel, der nicht aufzuhalten scheint, füllt nach und nach die Leinwand mit Arabesken. Ströme, Falten, Glieder, Körper halten die Farben am Fließen. Hier gewinnt die Künstlerin Präsenz: Wir sehen sie vor ihrer Leinwand, wie im Tanz. Der Gestus hält sie im Nachhinein gegenwärtig. In der Gestik entdecken wir Sensibilitäten, ahnen Wünsche, Träume.

Verborgener bleibt der Hintergrund der Arabesken, ein heimlicher und wichtiger Arbeitsraum. Hier arbeitet Sarah Bechter wie eine abstrakte Malerin und versucht, Lichter zu inszenieren, Atmosphären zu schaffen. Das Abkratzen des Farbauftrags, das Ein- und Durcharbeiten, bleiben heimliche Mühen. So zeigt sich eine wesentliche Bedeutung dieser Malerei allein in ihrem Entstehungs-prozess: das Malen zu erzählen. Und sie lässt bereits zwei Tendenzen erkennen: der spektakulären Geste, die unsere Aufmerksamkeit gefangen nimmt, antwortet eine heimliche, private, am Malgrund der Szenerie.

Können wir mehr wissen? Märchenhafter Zauber liegt über diesen Szenen: Sie führen uns in eine vergangene Welt, in verwunschene Gärten und zu welken Blumen, zu verlassenen Tischen, zwischen Kobolde und grazile Feen. Mädchenträume? Wie jede Malerin und jeder Maler etabliert auch Sarah Bechter mit ihren vielen Bildern eine Sprache. Sie artikuliert sich zunächst aus malerisch-technischen Bedürfnissen. Die romantischen Note stiftet dann aber auch Vieldeutigkeit und Zwiespältigkeit, die so bezeichnend für das Märchen sind: un-heimlich. Dem Lächeln der Figuren ist nicht recht zu trauen. Das Eigenleben der Dinge irritiert. Farben werden giftig. Wir fühlen uns hier aber nicht nur unbehaust, sondern sehe uns auch mit Heimlichkeiten konfrontiert. Niemand kann den Dingen nicht ‚auf den Grund gehen‘. Die Botschaft ist am Ende ein Verschweigen. Das Unheimliche ist in dieser Malerei eine kunstvolle Figur: Das Verbergen zeigen.

Stephan Schmidt-Wulffen

All Photographs © Miro Kuzmanovic