All Elbows But Liquid
31.1. – 29.2.2024
at Bildraum 07, Vienna, AT
31.1. – 29.2.2024
at Bildraum 07, Vienna, AT
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Sarah,
Können sie mich hören? Spreche ich laut genug? So laut, dass Sie mich verstehen, mir eine gewisse Autorität zutrauen, um diese Ausstellung zu eröffnen; laut genug, dass Sie mich als Kunsthistorikerin ernstnehmen? Aber auch nicht zu laut, nicht zu übereifrig, nicht zu ehrgeizig oder gar schrill. Und das, obwohl ich gerade ob aller gesellschaftlichen Erwartungshaltungen oftmals das Gefühl bekomme, ganz laut schreien zu müssen.
Nein, es ist noch immer nicht leicht in dieser spätkapitalistischen Welt – und Kunstwelt – als Frau gehört zu werden – und dabei auch die Contenance zu wahren. Es ist ein Spagat, ein Balanceakt. Als ich Sarah im Vorfeld dieser Ausstellung in ihrem Atelier besuchte und wir über dieses Dilemma sprachen, sagte sie einen Satz, der mir sehr nachdrücklich im Gedächtnis geblieben ist: „Wenn ich normal spreche, bin ich laut genug.“
Die Frage, wie man sich im sozialen Miteinander begegnet, ist die vielleicht zentrale dieser Ausstellung, die den Titel „All Elbows But Liquid“ trägt. Ein Titel, der unter anderem inspiriert ist von Sarahs Erfahrungen während eines Residency-Aufenthalts in New York City 2022. Wie sie mir im Gespräch schilderte, stellte sie hier Überlegungen an, wie man sich verhalten solle, wenn es rau zugeht, wenn die Mitmenschen die Ellenbogen ausfahren und man ständig im übertragenen wie auch buchstäblichen Sinn aneinandergerät. „You’re all elbows but I’m liquid“ war ihre persönliche Antwort. Flüssig zu sein – ich deute es als ein geschmeidig Bleiben angesichts von Härte und Konkurrenzdruck.
Es ist eine Strategie, die sich auch motivisch in Sarahs künstlerischer Praxis widerspiegelt: Statt einer hingeworfenen Machogeste – ob malerisch oder zwischenmenschlich – übt sie sich in etwas, das man vielleicht als zärtliche Situationselastik beschreiben könnte. Sie zeigt sich in Sarahs malerischem Prozess bereits von Beginn an:
Auf die grundierte Leinwand streut sie intuitiv Pigment auf, ohne dabei bereits Motive zu verfolgen. So entstehen quasi-zufällige Spuren, durch die an vielen Stellen noch die Leinwand durchscheint. Aus diesen Spuren heraus versucht Sarah Formen zu entwickeln, die sich immer erst aus der Situation heraus ergeben, ihre Vorgehensweise gleicht also einer Suche nach dem Bild.
Indem sie die in Pigment angelegten Formen umfasst, entstehen Figuren. Solche, die mit dem Bildgrund hantieren; Figuren, die sich geradezu lustvoll ausschütten. Die Leinwand wird zur Begrenzung für Hände, die zu tasten scheinen; für Gliedmaße, die immer länger werden, die sich auflösen in pure Bewegung. Der lange Arm kunsthistorischer Assoziationen scheint mich immer wieder anzustupsen – das surrealistische Moment der zerfließenden Hände, das Motiv des Barmanns als Manets Folies-Bergère transferiert in ein avantgardistisches Cabaret. Aber auch angesichts der historischen Wucht des Genres, die die Malerei immer mit sich bringt, ist Sarahs Umgang mit Referenzen ein spielerischer, ihre Haltung eine lässige, in sich Ruhende. Sie hat ihre ganz eigene Handschrift gefunden – pun intended. Ob das Lächeln, das die selten dargestellten menschlichen Gesichter oder Masken tragen, ein freundliches oder doch eher ein ironisch distanziertes ist, bleibt dabei offen – die Wirkung changiert zwischen Spaß und Unheimlichkeit.
Die Bewegungen der malerischen Formen, den Rhythmus ihrer Bilder, entwickelt Sarah immer zusammen mit ihrer Farbigkeit. Alles bezieht sich aufeinander, und erst von diesem Grundkonstrukt ausgehend feilt sie an den Details wie etwa der Oberfläche, die mal pulvrig, mal eher flüssig gestaltet ist. Die Arbeiten in „All Elbows But Liquid“ reichen vom Rötlich–violetten, über leuchtendes Orange ins Blau-grünliche, dabei wirken die Farben trotz ihres matten Auftrags für mich geradezu erdig-schillernd.
Neu ist in jüngeren Arbeiten die Zunahme von offensichtlichen Arbeitsspuren. Sie zuzulassen, das Bild weniger „polieren“, die rohe Leinwand sichtbar lassen – dieses Interesse an Leerstellen interessiert Sarah auch auf theoretischer Ebene: was wird gezeigt, was versteckt, was ist privater, was öffentlicher Raum, welche Machtstrukturen prägen diese Räume? Ihre Paravents verdeutlichen die Auseinandersetzung mit dem Raum, sie überführen die Bewegung der Gemälde ins Räumliche, können sich ihm aber auch anpassen, ihn – wie Sarah es formulierte – „verinnerlichen“.
Das abwägende, sich selbst konstant prüfende Moment ihrer Arbeitsweise erlaubt es Sarah, geschmeidig zu bleiben. Die Titel ihrer Bilder lesen sich dabei beinahe wie Handlungsanweisungen, You’re all elbows but I’m liquid oder No occasion for reduction. Haltung zu bewahren, ohne einzuknicken, ohne sich allzu sehr zu versteifen, und auch ohne sich klein zu machen. Gehört zu werden, obwohl man eigentlich gar nicht besonders laut spricht.
Kathrin Heinrich
Ladies and gentlemen, dear Sarah,
Can you hear me? Do I speak loud enough? Loud enough for you to understand me, to trust me with a certain authority to open this exhibition; loud enough for you to take me seriously as an art historian? But also not too loud, not too overzealous, not too ambitious or even shrill. And this despite the fact that I often get the feeling that I have to shout very loudly in the face of all social expectations.
No, it’s still not easy to be heard as a woman in this late capitalist world – and art world – and to keep your composure at the same time. It’s a balancing act. When I visited Sarah in her studio in the run-up to this exhibition and we talked about this dilemma, she said a sentence that has stuck in my mind very emphatically: “If I speak normally, I’m loud enough.”
The question of how to meet in social interaction is perhaps the central theme of this exhibition, which is entitled “All Elbows But Liquid”. A title inspired, among other things, by Sarah’s experiences during a residency in New York City in 2022. As she told me in conversation, she reflected on how people should behave when things get rough, when fellow human beings pull out their elbows and people are constantly clashing, both figuratively and literally. “You’re all elbows but I’m liquid” was her personal response. Being liquid – I interpret it as remaining supple in the face of hardship and competitive pressure.
It is a strategy that is also reflected in the motifs of Sarah’s artistic practice: Instead of a thrown-down macho gesture – whether painterly or interpersonal – she practices something that could perhaps be described as a tender situational elasticity. It is evident in Sarah’s painterly process from the very beginning:
She intuitively sprinkles pigment onto the primed canvas without already pursuing motifs. This creates quasi-random traces through which the canvas still shines through in many places. Sarah tries to develop forms from these traces, which always emerge from the situation; her approach thus resembles a search for the image.
By embracing the forms laid out in pigment, she creates figures. Figures that interact with the canvas; figures that spill out with relish. The canvas becomes a boundary for hands that seem to grope; for limbs that become longer and longer, dissolving into pure movement. The long arm of art historical associations seems to nudge me again and again – the surrealistic moment of the melting hands, the motif of the barman as Manet’s Folies-Bergère transferred into an avant-garde cabaret. But even in view of the historical force of the genre, which painting always brings with it, Sarah’s handling of references is playful, her attitude casual and relaxed. She has found her very own signature – pun intended. Whether the smiles on the rarely depicted human faces or masks are friendly or rather ironically distanced remains open – the effect oscillates between fun and uncanny.
Sarah always develops the movements of the painterly forms, the rhythm of her pictures, together with her colors. Everything relates to each other, and it is only from this basic construct that she refines the details, such as the surface, which is sometimes powdery, sometimes more fluid. The works in “All Elbows But Liquid” range from reddish-purple to bright orange to blue-green, and despite their matte application, the colors seem almost earthy and iridescent to me.
What is new in recent works is the increase in obvious traces of work. Allowing them, “polishing” the picture less, leaving the raw canvas visible – this interest in empty spaces also interests Sarah on a theoretical level: what is shown, what is hidden, what is private, what is public space, what power structures characterize these spaces? Her screens illustrate the confrontation with the space, they transfer the movement of the paintings into the spatial, but can also adapt to it, “internalize” it, as Sarah puts it.
The deliberative, constantly self-examining aspect of her working method allows Sarah to remain supple. The titles of her paintings read almost like instructions: You’re all elbows but I’m liquid or No occasion for reduction. Maintaining a stance without buckling, without stiffening up too much and without making herself small. To be heard, even though you don’t actually speak very loudly.
Kathrin Heinrich
(Translated from German)
Photos © Eva Kelety
Können sie mich hören? Spreche ich laut genug? So laut, dass Sie mich verstehen, mir eine gewisse Autorität zutrauen, um diese Ausstellung zu eröffnen; laut genug, dass Sie mich als Kunsthistorikerin ernstnehmen? Aber auch nicht zu laut, nicht zu übereifrig, nicht zu ehrgeizig oder gar schrill. Und das, obwohl ich gerade ob aller gesellschaftlichen Erwartungshaltungen oftmals das Gefühl bekomme, ganz laut schreien zu müssen.
Nein, es ist noch immer nicht leicht in dieser spätkapitalistischen Welt – und Kunstwelt – als Frau gehört zu werden – und dabei auch die Contenance zu wahren. Es ist ein Spagat, ein Balanceakt. Als ich Sarah im Vorfeld dieser Ausstellung in ihrem Atelier besuchte und wir über dieses Dilemma sprachen, sagte sie einen Satz, der mir sehr nachdrücklich im Gedächtnis geblieben ist: „Wenn ich normal spreche, bin ich laut genug.“
Die Frage, wie man sich im sozialen Miteinander begegnet, ist die vielleicht zentrale dieser Ausstellung, die den Titel „All Elbows But Liquid“ trägt. Ein Titel, der unter anderem inspiriert ist von Sarahs Erfahrungen während eines Residency-Aufenthalts in New York City 2022. Wie sie mir im Gespräch schilderte, stellte sie hier Überlegungen an, wie man sich verhalten solle, wenn es rau zugeht, wenn die Mitmenschen die Ellenbogen ausfahren und man ständig im übertragenen wie auch buchstäblichen Sinn aneinandergerät. „You’re all elbows but I’m liquid“ war ihre persönliche Antwort. Flüssig zu sein – ich deute es als ein geschmeidig Bleiben angesichts von Härte und Konkurrenzdruck.
Es ist eine Strategie, die sich auch motivisch in Sarahs künstlerischer Praxis widerspiegelt: Statt einer hingeworfenen Machogeste – ob malerisch oder zwischenmenschlich – übt sie sich in etwas, das man vielleicht als zärtliche Situationselastik beschreiben könnte. Sie zeigt sich in Sarahs malerischem Prozess bereits von Beginn an:
Auf die grundierte Leinwand streut sie intuitiv Pigment auf, ohne dabei bereits Motive zu verfolgen. So entstehen quasi-zufällige Spuren, durch die an vielen Stellen noch die Leinwand durchscheint. Aus diesen Spuren heraus versucht Sarah Formen zu entwickeln, die sich immer erst aus der Situation heraus ergeben, ihre Vorgehensweise gleicht also einer Suche nach dem Bild.
Indem sie die in Pigment angelegten Formen umfasst, entstehen Figuren. Solche, die mit dem Bildgrund hantieren; Figuren, die sich geradezu lustvoll ausschütten. Die Leinwand wird zur Begrenzung für Hände, die zu tasten scheinen; für Gliedmaße, die immer länger werden, die sich auflösen in pure Bewegung. Der lange Arm kunsthistorischer Assoziationen scheint mich immer wieder anzustupsen – das surrealistische Moment der zerfließenden Hände, das Motiv des Barmanns als Manets Folies-Bergère transferiert in ein avantgardistisches Cabaret. Aber auch angesichts der historischen Wucht des Genres, die die Malerei immer mit sich bringt, ist Sarahs Umgang mit Referenzen ein spielerischer, ihre Haltung eine lässige, in sich Ruhende. Sie hat ihre ganz eigene Handschrift gefunden – pun intended. Ob das Lächeln, das die selten dargestellten menschlichen Gesichter oder Masken tragen, ein freundliches oder doch eher ein ironisch distanziertes ist, bleibt dabei offen – die Wirkung changiert zwischen Spaß und Unheimlichkeit.
Die Bewegungen der malerischen Formen, den Rhythmus ihrer Bilder, entwickelt Sarah immer zusammen mit ihrer Farbigkeit. Alles bezieht sich aufeinander, und erst von diesem Grundkonstrukt ausgehend feilt sie an den Details wie etwa der Oberfläche, die mal pulvrig, mal eher flüssig gestaltet ist. Die Arbeiten in „All Elbows But Liquid“ reichen vom Rötlich–violetten, über leuchtendes Orange ins Blau-grünliche, dabei wirken die Farben trotz ihres matten Auftrags für mich geradezu erdig-schillernd.
Neu ist in jüngeren Arbeiten die Zunahme von offensichtlichen Arbeitsspuren. Sie zuzulassen, das Bild weniger „polieren“, die rohe Leinwand sichtbar lassen – dieses Interesse an Leerstellen interessiert Sarah auch auf theoretischer Ebene: was wird gezeigt, was versteckt, was ist privater, was öffentlicher Raum, welche Machtstrukturen prägen diese Räume? Ihre Paravents verdeutlichen die Auseinandersetzung mit dem Raum, sie überführen die Bewegung der Gemälde ins Räumliche, können sich ihm aber auch anpassen, ihn – wie Sarah es formulierte – „verinnerlichen“.
Das abwägende, sich selbst konstant prüfende Moment ihrer Arbeitsweise erlaubt es Sarah, geschmeidig zu bleiben. Die Titel ihrer Bilder lesen sich dabei beinahe wie Handlungsanweisungen, You’re all elbows but I’m liquid oder No occasion for reduction. Haltung zu bewahren, ohne einzuknicken, ohne sich allzu sehr zu versteifen, und auch ohne sich klein zu machen. Gehört zu werden, obwohl man eigentlich gar nicht besonders laut spricht.
Kathrin Heinrich
Ladies and gentlemen, dear Sarah,
Can you hear me? Do I speak loud enough? Loud enough for you to understand me, to trust me with a certain authority to open this exhibition; loud enough for you to take me seriously as an art historian? But also not too loud, not too overzealous, not too ambitious or even shrill. And this despite the fact that I often get the feeling that I have to shout very loudly in the face of all social expectations.
No, it’s still not easy to be heard as a woman in this late capitalist world – and art world – and to keep your composure at the same time. It’s a balancing act. When I visited Sarah in her studio in the run-up to this exhibition and we talked about this dilemma, she said a sentence that has stuck in my mind very emphatically: “If I speak normally, I’m loud enough.”
The question of how to meet in social interaction is perhaps the central theme of this exhibition, which is entitled “All Elbows But Liquid”. A title inspired, among other things, by Sarah’s experiences during a residency in New York City in 2022. As she told me in conversation, she reflected on how people should behave when things get rough, when fellow human beings pull out their elbows and people are constantly clashing, both figuratively and literally. “You’re all elbows but I’m liquid” was her personal response. Being liquid – I interpret it as remaining supple in the face of hardship and competitive pressure.
It is a strategy that is also reflected in the motifs of Sarah’s artistic practice: Instead of a thrown-down macho gesture – whether painterly or interpersonal – she practices something that could perhaps be described as a tender situational elasticity. It is evident in Sarah’s painterly process from the very beginning:
She intuitively sprinkles pigment onto the primed canvas without already pursuing motifs. This creates quasi-random traces through which the canvas still shines through in many places. Sarah tries to develop forms from these traces, which always emerge from the situation; her approach thus resembles a search for the image.
By embracing the forms laid out in pigment, she creates figures. Figures that interact with the canvas; figures that spill out with relish. The canvas becomes a boundary for hands that seem to grope; for limbs that become longer and longer, dissolving into pure movement. The long arm of art historical associations seems to nudge me again and again – the surrealistic moment of the melting hands, the motif of the barman as Manet’s Folies-Bergère transferred into an avant-garde cabaret. But even in view of the historical force of the genre, which painting always brings with it, Sarah’s handling of references is playful, her attitude casual and relaxed. She has found her very own signature – pun intended. Whether the smiles on the rarely depicted human faces or masks are friendly or rather ironically distanced remains open – the effect oscillates between fun and uncanny.
Sarah always develops the movements of the painterly forms, the rhythm of her pictures, together with her colors. Everything relates to each other, and it is only from this basic construct that she refines the details, such as the surface, which is sometimes powdery, sometimes more fluid. The works in “All Elbows But Liquid” range from reddish-purple to bright orange to blue-green, and despite their matte application, the colors seem almost earthy and iridescent to me.
What is new in recent works is the increase in obvious traces of work. Allowing them, “polishing” the picture less, leaving the raw canvas visible – this interest in empty spaces also interests Sarah on a theoretical level: what is shown, what is hidden, what is private, what is public space, what power structures characterize these spaces? Her screens illustrate the confrontation with the space, they transfer the movement of the paintings into the spatial, but can also adapt to it, “internalize” it, as Sarah puts it.
The deliberative, constantly self-examining aspect of her working method allows Sarah to remain supple. The titles of her paintings read almost like instructions: You’re all elbows but I’m liquid or No occasion for reduction. Maintaining a stance without buckling, without stiffening up too much and without making herself small. To be heard, even though you don’t actually speak very loudly.
Kathrin Heinrich
(Translated from German)
Photos © Eva Kelety