Somebody And Somebody Else
20.1. – 3.3.2024
at Künstlerhaus Bregenz, AT
Ghost Mermaids:
On fading witnesses and Sarah Bechter’s work.

1. Because in our world
something is always hidden,
small and white,
small and what you call pure,
we do not grieve
as you grieve, dear (*)

To witness is to inscribe the movement of your vision in the world’s rhythm; and this can be a subtle and elegant act.

Sarah Bechter’s extraordinaire canvas tactility, sometimes dense, sometimes light, has, over the course of her career acquired the ability to dissolve individual patterns into a more sophisticated and intricate set of beholders. Her paintings are crafted in the practice, or belief, rather, of chasing and invoking gazes so as to see what’s concealed within the atmosphere of looking and observing something. Quite literally this becomes tangible in the environments surrounding her figures, where the crafting of desires, tensions, and memories seem to float around and within the paint —and, notably, on— the attention posed upon the ocular expressions in her most recent series of works.

2. suffering master; you
are no more lost
than we are, under
the hawthorn tree, the hawthorn holding
balanced trays of pearls: what
has brought you among us (*)

These distinguished eyes: characters, since most of them belong to famous female –mostly dead– painters, imply not only an intimacy forged with these oculars. As contact points, they also serve to test a surface and see what “resurrects”—as if bringing back gazes, or invoking figures, might exhume their ghostly visions. Bechter, in other words, is raising the airy nature of observation –invisible light particles and rays– to expand on the many transfers –across public and private spaces, power and desire, life and death– contained in the act of looking. But what goes out from our eyes, is not the same thing that comes back.

That is, sometimes the eye field is more persuasive and wittier than our vision’s will. The figures’ contours dissolve into their environments so as to situate themselves in proximity to ghosts; the non–corporeal site of presence and, by extension, a space for all kind of apparitions. Witnessing all the world’s appearances and gestures in all its blurred interactions, or even as situated in a dimension beyond material space, those figures “come back different”. That this space rubs off what it contains —what a surface represents, what your eyes can see— is the true magic of these works.
Like so, Bechter encroaches on the witness’ limits, and by extension those of presence, not so much to dive into the abyss of life, as marked by its material bounds, but to disturb, the form and dimension of looking and what it contains of ourselves.

3. who would teach you, though
you kneel and weep,
clasping your great hands,
in all your greatness knowing
nothing of the soul’s nature,
which is never to die: poor sad god,
either you never have one
or you never lose one (*).

Tapping into notions of “presence” and “absence” also brings in the significance of the void: the whole space–time dimension where observation unfolds. Void is the floating air within a restaurant, the space around the eyes of a marble– mermaid fountain. Ergo, void is where our visual rays, as distinctively marked by one’s act of looking, move, advance, rest. Not only are they points of transfer, but floating fields containing potential plots, desires in the making, past whispers. Those are momentums in the drive to arrive somewhere, in order to glance at and invoke a psychosocial and emotional landscape. A ghost– mermaid in liquid stone stares back at you. She retrieves something of an individual, like a myth or a spirit. Like someone dead and alive, on and off in alternative cycles. A promise of eternal witnessing.

Bechter’s paintings on surface–speaking forms, and her deep intent to unfold gestures that make figures resurrect —like the name of those painters listed on a sequence of eyes, widens the binary realm separating the living and the inert, the ghost and the witness, the object and the subject. In going to the lengths of reuniting those figures, statues, limbs and phantom eyes, Sarah searches for proof that the eliptical dimension of the beeholder isn’t just an exchange, but really a metamorphosis. The represented figures are perpetual gestures. Never arriving somewhere concrete—in the attention paid to the tactile environment, the ghostly interaction, as in a sophisticated understanding of life’s blurry lines. These paintings here are present in time and space, but they are also portals to the observations that they contain, the conscious and unconscious spheres from which they forge and the gravity of air, —as medium— within contained.

(*) Violets, from Louise Glück’s The Wild Iris. Carcanet, Manchester, 1992.

Alejandro Alonso Díaz



Geisterhafte Nixen:
Über schwindende Zeug:innen und Sarah Bechters Werk

1. Weil in unserer Welt
immer etwas versteckt ist,
klein und weiß,
klein und was du rein
nennst, trauern wir nicht,
wie du trauerst, liebe (*)

Zu beobachten bedeutet, die Bewegung der Wahrnehmung in den Rhythmus der Welt einzuschreiben; und dies kann ein subtiler und eleganter Akt sein.

Sarah Bechters außergewöhnliche Leinwand-Taktilität, mal dichter, mal leichter, hat über die Dauer ihrer Laufbahn die Fähigkeit erworben, einzelne Muster in eine ausgeklügeltere und komplexere Reihe von Betrachtungsweisen zu zerlegen. Ihre Malereien entstehen aus der Praxis, oder vielmehr in der Absicht, Blicke zu verfolgen und hervorzurufen, als wollte sie herausfinden, was sich im Dunstkreis des Sehens und Beobachtens versteckt hält. Im wahrsten Sinne des Wortes greifbar wird dies an den Orten, die ihre Figuren umgeben und wo das Fabrizieren von Wünschen, Spannungen und Erinnerungen um und in der Farbe selbst zu fließen scheint, wobei in ihrer neuesten Werkserie der okulare Ausdruck eine zentrale Rolle einnimmt.

2. leidende Herrin; du
bist nicht verlorener,
als wir es sind unter
dem Weißdornbusch, dem Weißdorn mit seinen
harmonischen Schalen voller Perlen: was
hat dich zu uns geführt, (*)

Diese markanten Augen – Charaktere, denn die meisten von ihnen gehören berühmten verstorbenen Malerinnen – bringen nicht nur Vertrautheit mit sich. Als Berührungspunkte dienen sie auch dazu, eine Oberfläche zu prüfen und zu sehen, was darauf „wieder belebt wird” – so, als ob das Wiederbringen von Blicken oder das Aufrufen von Figuren geisterhafte Visionen von ihnen hervorrufe. Mit anderen Worten erweckt Bechter die flüchtige Natur des Beobachtens – unsichtbare Lichtpartikel und -strahlen –, die in die vielen Transferprozesse ausschweifen – in öffentliche und private Räume, Macht und Begehren, Leben und Tod –, die Teil des Vorgangs sind. Aber was von unseren Augen ausgeht, ist nicht dasselbe das zu ihnen zurückkehrt.

Manchmal ist das Augenfeld durchsetzungsfähiger und weiser als das Vorhaben des Blicks. Die Umrisse der Figuren verfließen mit ihrer Umgebung, als ob sie Geistern nahekommen wollten; eine immaterielle Form der Präsenz und damit ein Raum für alle Arten von Erscheinungen. Als Zeug:innen mannigfaltiger Phänomene und Gesten der Welt, in all ihren unscharfen Wechselwirkungen, oder sogar als in einer Dimension jenseits des materiellen Raums befindlich, kommen diese Figuren „anders” zurück. Dass dieser Raum abfärbt, was er enthält – das, was eine Oberfläche darstellt, das, was die Augen sehen können – ist der wahre Zauber dieser Arbeiten.

Auf diese Weise stößt Bechter an die Grenzen der Beobachtung und damit auch an die der Existenz, nicht so sehr, um in den Abgrund des Lebens einzutauchen, der durch seine materiellen Grenzen gekennzeichnet ist, sondern um die Form und Dimension des Sehens und das, was es von uns selbst enthält, durcheinanderzubringen.

3. die dich etwas lehren könnten, obwohl
du kniest und weinst,
deine großen Hände ineinanderschlingst
und in all deiner Größe nichts
vom Wesen der Seele weißt,
die nie sterben muss: arme traurige Göttin,
entweder hast du nie eine
oder verlierst sie nie (*).

Die Auseinandersetzung mit den Begriffen „Anwesenheit” und „Abwesenheit” bringt auch die Bedeutung der Leere ins Spiel: die gesamte Raum-Zeit-Dimension, in der sich die Beobachtung entfaltet. Die Leere ist die Luft, die durch ein Restaurant strömt, der Raum rund um die Augen einer marmornen Brunnenfigur in Gestalt einer Nixe. Ergo ist es die Leere, wo unsere Sehstrahlen, die durch den Akt des Betrachtens geprägt sind, sich bewegen, vorrücken, ruhen. Sie sind nicht nur Transferpunkte, sondern auch fluide Felder, die mögliche Handlungen, im Entstehen begriffene Sehnsüchte, vergangene Einflüsterungen enthalten. Es sind Momente des Bestrebens, an einem Ort anzukommen, um die psychosoziale und emotionale Landschaft zu betrachten und sie wachzurufen. Eine geisterhafte Nixe aus flüssigem Stein starrt zurück. Sie hat etwas von einem Individuum, wie ein Mythos oder eine Seele. Wie jemand zugleich totes und lebendiges, die in wechselnden Zyklen auf und ab geht.

Bechters auf der Oberfläche sprechende Malereien und ihr tiefes Begehren, Gesten zu entfalten, die Figuren auferstehen lassen, erweitern die binären Sphären, die das Lebendige und das Inhärente, den Geist und die Zeugin, das Objekt und das Subjekt trennen. Indem sie diese Figuren, Statuen, Gliedmaßen und Phantomaugen vereint, sucht Sarah Bechter nach dem Beweis dafür, dass die elliptische Dimension des Betrachtens nicht nur ein Austausch, sondern tatsächlich eine Metamorphose ist. Die dargestellten Figuren sind immerwährende Gesten. Sie kommen nie an einem konkreten Ort an – in der Aufmerksamkeit für die taktile Umgebung, die geisterhafte Interaktion wie auch in einem tiefen Verständnis für die unscharfen Linien des Lebens. Diese Bilder hier sind in Zeit und Raum anwesend, aber sie sind auch Pforten zu den Beobachtungen, die sie umfassen, den bewussten und unbewussten Sphären, aus denen sie sich formen, und die Schwerkraft der Luft, die sie – als Medium – in sich tragen.

(*) Violets, aus Louise Glücks The Wild Iris.
Carcanet, Manchester, 1992.

Alejandro Alonso Díaz
Übersetzung aus dem Englischen: Theodor Maier

Photos © Florian Raidt